#Bingeeating ist die traurige Weiterentwicklung einer jahrelangen nicht vorhandenen Selbstliebe meiner Person.
Da die Geschichte im Einzelnen sehr lang ist, füge ich es in weiteren Blogposts gerne nach und nach dem Großen und Ganzen zu. Mit dem letzten Kapitel ein Bingeeater zu sein, möchte ich heute aber gerne beginnen, weil ihr es euch auch gewünscht habt. Da dies erst das Ende meiner Essstörungskarriere ist, kann ich hier nicht in drei Worten erwähnen, woher es kommt. Ich kann nur beschreiben, wie es sich anfühlt und abgezeichnet hat.
Viele begreifen leider nicht, was es bedeutet, eine #Sucht zu haben. Süchtige haben in unserer Gesellschaft nur ein Gesicht, wenn die Sucht sichtbar oder begreifbar ist. So z. B. bei Alkhol- und Drogensucht. Und wenn wir alle mal ehrlich sind, verspüren wir den meisten Süchtigen gegenüber auch kein Mitgefühl oder Verständnis, sondern geben ihnen selbst die Schuld. Viele Verhaltenssüchte kennt man vom Namen her und dazu gehört übrigens neuerdings auch die Internet-Online-Sucht, aber begreifen wir nicht, was für ein Kampf das manchmal sein kann. Süchte sind kompliziert und dass wollen wir doch eigentlich gar nicht so nah an uns ran lassen. Kompliziert mögen wir nicht, kompliziert ist nicht alltagstauglich.
Ich für meinen Teil war immer sehr angepasst, auf gar keinen Fall mal anecken oder auffallen. Gefühle wie Wut waren nicht akzeptabel. Ich habe wirklich lange Zeit gelernt, dass ich nur gut bin, wenn ich freundlich lächelnd durch die Welt gehe und immer so handle, wie man es von mir erwartet. Eine eigene Meinung äußern, Gefühle äußern und vor allem die Wut, hat mich schnell in die Schublade "Zicke" und "unüberlegt" geschoben.
Wie oft habe ich gehört, dass ich mich im Griff haben soll, dass sei ja peinlich und ich bin nicht normal so emotional. Wie oft, musste ich gute Laune vortäuschen, nur weil andere lieber mein Lächeln sehen mochten.
Ich habe mich lange deshalb wertlos gefühlt.
Ich gebe niemanden die Schuld dafür, aber vor allem auch nicht mir selbst. Ich bin nicht schuld, denn es war meine geglaubte Realität allen gefallen zu wollen, aber ich war nie wirklich ich selbst.
Zu Hause alleine in meinen vier Wänden war ich immer ich selbst. Ich fühlte mich dort einsam, aber endlich nah bei mir selbst und um den Druck zu betäuben, habe ich heimlich viel gegessen. Ein klassisches Beispiel ist der vorherige Einkauf im Supermarkt mit allem was mich glücklich machen könnte. Viele kennen das als Belohnungsprinzip, ich habe mich belohnt besonders gut funktioniert zu haben. Um es mal in Mengen zu definieren, landeten immer Pizza, Eis, Weingummis und oder Schokolade im Einkaufskorb. Vom Pizza-Service kamen meist zwei Hauptgerichte und ein Nachtisch und natürlich kamen dazu noch obligatorisch Chips. Ich konnte alles essen, ohne einen Geschmack wahrzunehmen, nur eine Leere Tüte war eine gute Tüte und Ende war erst, wenn der Dehnungsschmerz so groß war, dass der Kopf plötzlich wieder einsetzte. Nachfolgend kamen Tränen, Versagensgefühle und Vorwürfe, dass ich niemals etwas schaffen kann, wenn ich schon beim Essen maßlos bin. Ich war innerlich zerissen und einsam. Oft weinte ich mich in den Schlaf oder hatte Panikattacken im Schlaf. Am nächsten Morgen ging es mit neuen vermeintlich guten Vorsätzen lächelnd zur Tür hinaus und da war ich dann wieder die, die man sein musste, die Angepasste!
Sicher könnt ihr euch denken, wenn Kitty die Showbühne „Welt“ da draußen verlässt, dass es Zuhause wieder losgeht. Belohnung für das Durchhalten, Belohnung für gut zu hungern tagsüber und Belohnung, um einfach diese Leere zu füllen. Oft wurde es stark befeuert von Kommentaren "hast du schlechte Laune", "warum lachst du nicht", "sei mal wieder lustig" und definitiv Frauen, an denen ich mich verglichen habe. Frauen, die sicherlich per Filter und Photoshop so schön gezeichnet wurden, dass ich dies natürlich als das Vorbild gesehen habe, welches ich unbedingt erreichen musste. Für mich waren diese Vorbilder perfekt und so muss man sein.
Eigentlich bewegt man sich immer wieder zwischen Fressanfall, Diätplänen, Selbstvorwürfen und dem Glaube einfach nicht gut genug und liebenswert zu sein, wie man ist. Heute ist es für mich unbegreiflich, wie gefangen ich war. Ich habe mich auf Fotos gehasst, mich gehasst, wenn ich "versagt" hatte abzunehmen.
Die Spitze des Eisbergs kam an einem Tag, an dem ich beschloss, es muss auch ohne Diät und Essanfälle gehen, ich wollte mich mal wieder spüren und einfach nur ich selbst sein. Mir hat an dem Tag, nach dem Beschluss nur zwei Stunden später jemand ganz deutlich ins Gesicht gelogen und mich so tief enttäuscht, dass alles aus mir herausbrach. Ich wollte zum ersten Mal nicht essen, sondern war wütend, ich habe getobt und habe im Anschluss stundenlang geweint.
Danach war ich erschöpft, aber erleichtert. Es hat drei Tage gedauert bis ich aus diesem erschöpften Zustand raus gekommen bin und wusste, heute beginnt Kitty 2.o. Keine Diäten mehr, nur ich selbst sein und ganz viel Arbeit an meinem Mindset. Ich habe Podcasts gehört, Bücher gelesen und mich coachen lassen und bin immer noch dabei, aber was soll ich sagen, ich finde mich echt gut so wie ich bin, ich bin wertvoll und liebenswert, ich darf wütend sein und auch mal schlechte Laune haben. Ich meditiere viel, um in Balance zu bleiben und das ist ein mega Gefühl.
Es sind seitdem Monate vergangen und schaue ich heute zurück, gab es bisher nur drei Anfälle, die im Vergleich harmlos waren und ich mag mich auf Fotos, ich habe all die schlanken, perfekten Menschen von meinen Accounts gelöscht, weil sie nicht mehr meine Vorbilder sind. Sie triggern alte Glaubenssätze in mir. Ich mag echte Menschen, ich bin echt und ich lebe das Leben, das ich möchte.
Sicher ist es immer noch eine lange Reise, aber ein gute, denn ich mache das für mich und ich darf glücklich und unangepasst sein. Ich mache nichts mehr für andere, warum auch, denn ich bin der wichtigste Mensch in meinem Leben and you only live once.
Eure Kitty
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